Wer schon einmal auf einer mexikanischen Familienfeier war, kennt das Phänomen: Während Tacos, Tamales und Pozole in Rekordzeit verschwinden, bleibt die liebevoll zubereitete Ensalada meist einsam auf dem Buffet zurück. Kopfsalat in Mexiko? Das ist eine komplizierte Beziehung.
Der Eisberg im tropischen Paradies
Mein Besuch in mexikanischen Supermärkten 2024 war aufschlussreich: Ich suchte nach den verschiedenen Salatsorten, die ich aus Deutschland kannte, fand aber nur sehr wenig Auswahl, meist in Plastik verpackt. Für die meisten Mexikaner ist Lechuga höchstens ein Topping für Tacos Dorados oder die Grundlage für einen Pambazo – aber definitiv nicht der Star des Tellers.
Interessant ist dabei, dass Kopfsalat ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammt und erst durch die spanische Kolonisation nach Amerika kam. Mexiko gehört heute tatsächlich zu den Top-10-Produzenten weltweit und exportiert etwa 50% seiner Produktion. Mehr als 90% der mexikanischen Kopfsalatproduktion besteht aus Eisbergsalat oder Romana-Salat. Die gesamte Kopfsalatproduktion konzentriert sich interessanterweise auf das Zentrum und den Nordwesten Mexikos, wobei Guanajuato etwa ein Viertel der Gesamtproduktion stellt und ganzjährig angebaut werden kann. Trotz dieser beeindruckenden Produktion bleibt ein weit verbreitetes Bewusstsein bestehen, dass nicht desinfizierter Lechuga durch verunreinigtes Gießwasser Bakterien übertragen kann – ein Umstand, der besonders in Restaurants und anderen Gastronomiebetrieben zur Zurückhaltung bei rohem Salat führt, wo Gäste nicht wissen können, ob der Salat ordnungsgemäß gereinigt wurde.
Die grüne Revolution der Büroarbeiter
Aus meiner Zeit in Mexiko-Stadt konnte ich beobachten, wie moderne Salat-Bars und Cafés Büroangestellte anzogen – allerdings meist aus einem pragmatischen Grund: der Gewichtsabnahme. Ensaladas schienen hier weniger als kulinarisches Erlebnis, sondern eher als notwendiges Mittel auf dem Weg zur gewünschten Figur betrachtet zu werden. Eine besondere Herausforderung dabei: Man muss an unzähligen Straßenständen, Taquerías und anderen verlockenden, aber fettreichen Leckereien vorbei, die das Büroviertel säumen.
Mexikos wahre grüne Helden
Dabei übersehen viele, dass Mexiko durchaus eine reiche Tradition grüner Gerichte hat – nur eben nicht mit Kopfsalat. Die Ensalada de Nopales (Kaktusfeigensalat) und der Salpicón (kalter Fleischsalat) sind authentisch mexikanische Kreationen. Noch wichtiger: Auf Tostadas, Sopes und anderen Nixtamal-Produkten finden sich täglich Berge von Koriander, Petersilie und Quelites – ein Begriff aus dem Nahuatl für junge Pflanzen oder Gemüse wie Verdolagas oder Hoja Santa. Obwohl Quelites auch roh gegessen werden können, gibt es emblematische Gerichte, in denen Quelites wie Romeritos oder Huauzontle gekocht werden. Kopfsalat wird zwar durchaus in Tacos und anderen Gerichten verwendet, aber nur als eine Sorte und nicht als eigenständiges Gericht, sondern als optionales Element.
Das Grün, das wirklich zählt
In internationalen Restaurants wird Salat traditionell als Vorspeise serviert – ein Konzept, das der mexikanischen Esskultur fremd ist. Meiner Meinung nach liegt das daran, dass Kopfsalat nie zur mexikanischen Esskultur gehörte und von der Bevölkerung auch nicht angenommen wurde. Bei so vielen aufregenden einheimischen Zutaten schaffte es der Kopfsalat einfach nicht, zu den mexikanischen Grundelementen zu gehören. Quelites sind zwar auch Blätter wie Kopfsalat, aber Textur, Form und Geschmack sind völlig anders. Diese sind in Mexiko sehr reichlich vorhanden und bestens integriert, allerdings sind die meisten Quelites in Supermärkten der Großstädte schwer zu finden, während sie auf dem Land oder in Mercados leichter erhältlich sind.
Vielleicht liegt hier die Weisheit: Statt importierte Salatkultur zu kopieren, hat Mexiko seine eigenen grünen Traditionen bewahrt. Quelites statt Kopfsalat, Gemeinschaft statt Individualität, Tradition statt Trend.
