Europa und scharfes Essen? Viele denken sofort an milde Küche und fade Gewürze. Doch das ist ein Mythos! Lange bevor Chilis aus Amerika den Weg nach Europa fanden, brachten heimische scharfe Gewürze unseren Gerichten ordentlich Feuer. Von würzigem Senf bis zu brennendem Meerrettich – Europa hat eine reiche Tradition pikanter Zutaten, die oft übersehen wird.
Frische Chilis sind eigentlich Gemüse – reich an Vitamin C, Antioxidantien und anderen Nährstoffen, die wir beim Essen aufnehmen. Scharfe Gewürze hingegen sind getrocknete Pflanzenteile, die wir in kleinen Mengen als Zusatz verwenden. Sie geben Geschmack, liefern aber kaum Nährstoffe pro Portion.
Getrocknete Chilis stehen zwischen beiden Welten. Sie werden ganz, gemahlen, als Pulver oder in kleinen Stücken verwendet. Ganze getrocknete Chilis eignen sich perfekt zum Füllen für „Chiles Rellenos“. Das Pulver wird meist direkt als Gewürz ins Essen gegeben oder für Adobo-Marinaden verwendet. Kleine Stücke finden ihren Weg in Sofritos oder werden zu knusprigen „Chicharrón de Chiles“ frittiert. Viele Menschen verbinden Chilis nur mit Schärfe oder Schmerz, doch wer Toleranz aufbaut, entdeckt komplexe Aromen dahinter.
Warum Chilis in Europa Nischenmärkte bleiben
Die meisten Chili-Konsumenten in Europa sind Ausländer, die an scharfes Essen gewöhnt sind – für sie sind Chilis hier deutlich teurer als in ihrer Heimat. Außerdem braucht man für viele Gerichte erheblich mehr Chilis als von anderen Gewürzen, was die Kosten schnell steigen lässt. Chili-Preise erreichen das Niveau teurer europäischer Gewürze, aber unbekannte Zutaten, die Schmerzen verursachen können, werden wohl kaum Bestseller in großen Supermärkten.
Allerdings könnte sich das ändern: Durch Restaurants, die authentische internationale Küche servieren, und Reisen in ferne Länder lernen Menschen die Vielfalt scharfer Gerichte kennen – von mexikanischen Salsas über koreanisches Bulgogi mit Gochujang-Marinade bis hin zu peruanischen Ceviches mit Ají Amarillo. So werden unterschiedliche Chilis und ihre komplexen Aromen immer bekannter.
Der Vorteil jahrhundertealter Tradition
Ganz anders bei europäischen scharfen Zutaten – sie profitieren von jahrhundertelanger Akzeptanz, stabilen Lieferketten und etablierten Märkten. Während Chilis Nischenmärkte bedienen, sind heimische Scharfmacher überall verfügbar und haben vorhersehbare Preise.
Diese 5 pikanten Klassiker kennt jeder – ihre Geschichte überrascht
Von der Currywurst bis zum Sonntagsbraten: Diese scharfen Gewürze Europa stehen wahrscheinlich schon in deiner Küche. Doch ihre Herkunft und vielseitige Verwendung wird oft unterschätzt. Hier sind die fünf wichtigsten europäischen Scharfmacher, die beweisen, dass pikante Küche nicht immer exotisch sein muss.
1. Die Gewürz-Pioniere: Senf und Meerrettich
Senf stammt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum und war bereits den alten Griechen und Römern bekannt. Bereits um 3000 v. Chr. nutzten die Sumerer Senfsamen. In Europa kultivierten französische Klöster schon im 9. Jahrhundert Senf, und im 13. Jahrhundert war er in Paris zum Verkauf erhältlich. Heute nutzen Deutschland, Frankreich und Österreich ihn täglich – ob als Düsseldorfer Löwensenf oder Dijon-Senf zu Weißwurst und Leberwurst.
Senf ist wohl das vielseitigste Gewürz europäischer Küchen und besonders berühmt in Salatdressings. Er bildet die Basis für Senf-Vinaigrette, verleiht Kartoffelsalat seinen charakteristischen Geschmack und macht Honig-Senf-Glasuren für Schinken unwiderstehlich. In der französischen Küche entstehen mit Senf cremige Saucen zu Kaninchen oder Schweinefleisch, während deutsche Köche ihn für herzhafte Senfsuppen oder als Kruste für Lammbraten verwenden.
Meerrettich ist wahrscheinlich in Südosteuropa heimisch und wird seit der Antike kultiviert. Bereits Dioscorides und Plinius beschrieben die Pflanze. Während der Renaissance breitete sich der Verzehr von Mitteleuropa nach Skandinavien und England aus. Erst um 1640 begannen die Briten, Meerrettich zu essen. Deutschland, Österreich und Osteuropa schätzen ihn heute frisch gerieben zu Tafelspitz oder als Sahnemeerrettich zu geräuchertem Fisch.
2. Die würzigen Verwandten: Rettich, Kresse und Kapern
Rettich ist der milde Verwandte des Meerrettichs und in ganz Europa heimisch. Schwarzer Winterrettich und weißer Sommerrettich bringen eine scharfe, würzige Note in Salate und Brotaufstriche. Besonders in Bayern gehört dünn geschnittener Rettich mit Salz zum Weißbier, während in Osteuropa eingelegter Rettich zu deftigen Fleischgerichten serviert wird.
Kresse wächst wild an europäischen Gewässern und bringt einen pfeffrig-scharfen Geschmack ins Essen. Brunnenkresse verfeinert englische Sandwiches, während Gartenkresse deutschen Quarkbroten ihren typischen Biss verleiht. In Frankreich ist sie ein Klassiker in Suppen und Salaten – ihre Schärfe entwickelt sich besonders intensiv, wenn sie roh verwendet wird.
Kapern stammen aus dem Mittelmeerraum und sind seit der Antike in der europäischen Küche verankert. Diese kleinen, eingelegten Blütenknospen bringen eine intensive, fast explosive Schärfe mit säuerlicher Note. Sie sind unverzichtbar in italienischen Pasta-Saucen, französischen Tapenade und deutschen Königsberger Klopsen – ohne sie wären diese Gerichte undenkbar.
3. Erfolgreiche Einwanderer: Wenn fremde Gewürze heimisch werden
Schwarzer Pfeffer stammte ursprünglich aus Indien, dominierte aber seit der Antike die europäische Küche. Bereits die Römer nutzten Pfeffer intensiv, und die meisten Rezepte in Apicius‘ Kochbuch enthielten Pfeffer. Im Mittelalter war Pfeffer so wertvoll, dass er als Währung diente und Mieten, Mitgift und Steuern damit bezahlt wurden. Nach dem Fall des Römischen Reiches übernahmen Araber und später Venezianer den Pfefferhandel. Von Steak au Poivre bis zum Pfeffersteak – ohne ihn wäre die pikante europäische Küche undenkbar.
4. Piment d’Espelette
Manche ausländische Gewürze werden so erfolgreich adoptiert, dass sie kulturell europäisch werden. Piment d’Espelette kam im 16. Jahrhundert aus den Antillen ins französische Baskenland. Die Basken entwickelten über Jahrhunderte durch selektive Züchtung die Sorte ‚Gorria‘ und erhielten 2000 eine AOC-Zertifizierung.
5. Piri-Piri
Piri-Piri entstand durch portugiesische Seefahrer, die Chilis aus Amerika nach Afrika brachten. In den portugiesischen Kolonien Mosambik und Angola entwickelte sich daraus die charakteristische Piri-Piri-Sauce, die erst in den 1970er und 1980er Jahren in Portugal selbst populär wurde.
Diese heimischen und adoptierten Scharfmacher beweisen: Europa kann durchaus mithalten, wenn es um verfügbare, bezahlbare feurige Aromen geht.
